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Mit Messer, Herz und Verstand: Nachhaltigkeit beginnt in deiner Küche

Köchin und Ernährungsexpertin Estella Schweizer im Interview

| Anja Engel

Du entscheidest jeden Tag mit, wie unsere Zukunft schmeckt. Als Gastronom oder Hotelier trägst du eine große Verantwortung – und hast gleichzeitig die Chance, echten Wandel mitzugestalten. Ethische Beschaffung, bewusste Küche, faire Arbeitsbedingungen und transparente Kommunikation sind keine Idealvorstellungen, sondern konkrete Hebel, die du heute schon nutzen kannst. In unserem neuen Beitrag zeigt dir die Köchin und Ernährungsexpertin Estella Schweizer, wie du nachhaltige Praktiken entlang deiner gesamten Lieferkette umsetzen kannst. Denn die Ernährungswende beginnt genau dort, wo gekocht, gegessen und gelebt wird: in deinem Betrieb.

Nachhaltigkeit Kueche Blog

Liebe Estella, wie kann die Gastronomie ethische Praktiken entlang der gesamten Lieferkette sicherstellen, von der Beschaffung der Zutaten bis hin zur Behandlung der Mitarbeitenden?

„Sicherstellen“ klingt sehr groß, vor allem weil Standards und Richtlinien weltweit unterschiedlich sind und wir besonders im Bereich der Lebensmittelwertschöpfungsketten weltweit agieren. Die Gastronomie kann jedoch einen entscheidenden Beitrag zum Big Picture leisten, indem sie ethische Praktiken entlang der gesamten Lieferkette unterstützt und konsequent auf Transparenz, Nachhaltigkeit und Fairness setzt.

Regionale, direkte Handels-Partnerschaften mit lokalen (Bio-)Landwirt:innen, die umweltverträglich und sozial fair produzieren, sind essenziell – idealerweise mit saisonalen Feldfrüchten, die direkt in den Betrieb geliefert werden. Auch beim Einkauf über Großhändler kann bewusst auf Saisonalität geachtet werden, insbesondere bei der Auswahl von Obst und Gemüse. Bei importierten Produkten sollte eine transparente Lieferkette Priorität haben. Für Kaffee, Schokolade, Nüsse, Bananen und ähnliche Waren sind Fair-Trade- oder Direkthandels-Zertifizierungen besonders wichtig.

Lebensmittelwertschätzung und Zero Waste sollten im Betriebsalltag eine zentrale Rolle spielen. Neben Kooperationen mit Initiativen zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Zutaten weiterzuverarbeiten, die sonst im Kompost landen würden. Gleichzeitig gewinnt die Fokussierung auf pflanzliche Proteine zunehmend an Bedeutung. Nachhaltig erzeugte tierische Produkte – die entsprechend teurer sind – sollten bewusst und in Maßen eingesetzt werden, um Umwelt und Ressourcen zu schonen.

Um Energie- und Ressourceneffizienz in der Küche zu gewährleisten, sollte die Küchentechnik nach Möglichkeit auf nachhaltigere, energieeffiziente Geräte umgestellt werden. Zudem ist es wichtig, das Team für einen bewussten Wasserverbrauch zu sensibilisieren und Recycling-Initiativen für Verpackungsmaterialien konsequent umzusetzen. Kreislauforientierte Verpackungslösungen spielen dabei eine zentrale Rolle: Recyclebare Verpackungen halten wertvolle Materialien im Kreislauf, Mehrwegsysteme vermeiden Verpackungsmüll vollständig, und kompostierbare Verpackungen können zur Biomasse- oder Biogas-Erzeugung beitragen.

Auch bei Lebensmittelabfällen gibt es nachhaltige Lösungen: Biokonverter können organische Reste kompostieren oder in Biochar umwandeln. Der entstehende Kompost oder das Biochar kann an Landwirt:innen zurückgeführt und als nährstoffreicher Dünger wieder in den Kreislauf eingespeist werden. Gastronom:innen, die diese nachhaltigen Maßnahmen aktiv in ihrer Kommunikation – etwa auf Speisekarten – sichtbar machen, tragen maßgeblich zur Bewusstseinsbildung und zur Förderung eines nachhaltigeren Konsumverhaltens bei.

Soziale Werte sind genauso essenziell wie Umwelt- und Wirtschaftsaspekte. Gerechte Arbeitsverträge, faire Löhne, Weiterbildungsmöglichkeiten und Wertschätzung für Mitarbeitende sind daher zentrale Säulen einer nachhaltigen Gastronomie. Diversität und Inklusion sollten aktiv gefördert werden, indem Chancengleichheit gewährleistet, gendersensible Strukturen geschaffen und marginalisierte Gruppen in der Branche bestmöglich unterstützt werden. Um Mitarbeitende aktiv in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, sind regelmäßige Feedback- und Mitbestimmungsrunden entscheidend. Wo immer möglich, sollten Teams an wichtigen Prozessen beteiligt werden, um ein wertschätzendes und motivierendes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Transparenz und Kommunikation sind entscheidend, um Gäste für nachhaltige Ernährung zu sensibilisieren. Die Herkunft der Produkte sollte offen dargelegt und klimafreundliche Optionen gezielt hervorgehoben werden, damit bewusste Entscheidungen leichter getroffen werden können. Gastronomiebetriebe, die über ihre eigenen Maßnahmen hinaus aktiv werden möchten, können mit lokalen Initiativen kooperieren oder in Bildungsprogramme für nachhaltige Ernährung investieren. Auch das Spenden überschüssiger Lebensmittel an Organisationen wie Foodsharing trägt dazu bei, Ressourcen sinnvoll zu nutzen und gleichzeitig die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.

Die Gastronomie hat eine enorme Hebelwirkung, um Ernährung zukunftsfähig, ethisch und klimafreundlich zu gestalten. Wer Verantwortung übernimmt – in der Lieferkette, in der Küche und im Umgang mit Menschen – kann echte Veränderungen bewirken und die Ernährungswende aktiv mitgestalten.“

Estella Schweizer Blog
Welche Verantwortung tragen Gesellschaft, Politik, Gastronomie und Hotellerie bei der Aufklärung über die Auswirkungen der Ernährung auf Gesundheit, Umwelt und Ethik?

„Die Art, wie wir essen, hat tiefgreifende Auswirkungen – auf unsere Gesundheit, unsere Umwelt und globale soziale Strukturen. Um eine nachhaltige Ernährungswende zu erreichen, müssen Gesellschaft, Politik, die Hospitality Branche und der Lebensmittelhandel gemeinsam Verantwortung übernehmen und aktiv zur Aufklärung beitragen. Die Gesellschaft, jeder einzelne unter uns, hat die Macht, Veränderung einzufordern. Jede bewusste Kaufentscheidung, jede Nachfrage nach nachhaltigen Alternativen ist ein aktiver Stimmzettel und setzt ein Zeichen. Da jedoch Wissen die Grundlage für Veränderung ist – braucht es umfassende Aufklärung, die Menschen befähigen, den Zusammenhang zwischen Ernährung, Klimaschutz und Gesundheit auch zu verstehen.

Die Politik trägt die Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, um nachhaltige Entscheidungen zu erleichtern. Dazu gehören klare Kennzeichnungen, Förderungen für nachhaltige Landwirtschaft und Verpflegung, sowie konsequente Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung und umweltschädliche Produktionsweisen. Auch wäre es von entscheidender Bedeutung, wenn Convenience und Fertigprodukte, die in der Nährwertbilanz und Umweltbilanz schlecht abschneiden, unverkennbar gekennzeichnet werden. Eine faire Agrar- und Handelspolitik ist essenziell, um eine Ernährungsweise zu etablieren, die nicht auf Kosten anderer Menschen oder künftiger Generationen geht.

Die Hospitality Branche spielt eine Schlüsselrolle, denn sie prägt Ernährungstrends und ist ein täglicher Begegnungsort mit Lebensmitteln und Speisen. Wer nachhaltige, pflanzenbetonte Speisekonzepte anbietet, fair gehandelte und regionale Produkte einsetzt und transparent über Herkunft und CO₂-Bilanz informiert, trägt aktiv zur Bewusstseinsbildung der Gäste bei. Zusätzlich kann durch Schulungen und Weiterbildungen das Wissen innerhalb der Branche gestärkt werden, damit Köch:innen und Gastronom:innen ihre Verantwortung als Multiplikator:innen wahrnehmen. In den Kochtöpfen dieser Welt wird die Ernährungswende genussvoll auf den Teller gebracht. Gemeinsam können wir Ernährung als positiven Hebel für Veränderung nutzen. Eine Küche, die kreativ, gesund und nachhaltig ist, ist keine Einschränkung – sie ist eine Einladung, mit Freude Verantwortung zu übernehmen. Die Zukunft isst mit – höchste Zeit, dass wir sie bewusst gestalten.“

Cover Buch Kochen fuer die Zukunft
Buchtipp: „Kochen für die Zukunft – Die Welt retten – aber mit Genuss!“
Let’s eat the world better! Unsere Ernährung ist für mehr als ein Drittel aller Treibhausgase verantwortlich. Dieses Kochbuch von Estella Schweizer plädiert für eine nachhaltige, umweltschonende und artgerechte Küche. Die über 90 saisonalen, veganen und klimafreundlichen Rezepte schmecken nicht nur gut, sondern leisten auch einen Beitrag zum Klimaschutz und sorgen für mehr Tierwohl.
Buch Kochen fuer die Zukunft
Was sind deine 3 besten einfachen Hacks zum veganen Kochen? Und: Was bedeutet nachhaltige Ernährung eigentlich?

„Eine ‚nachhaltige Ernährungsweise‘ nimmt nur so viel von der Erde, dass es gelingt, Ressourcen für folgende Generationen nachzuhalten. Schauen wir unser Ernährungssystem im Detail an, stellen wir fest, dass wir weltweit enorme Mengen an Landfläche, Frischwasser, Transportkilometer, Verpackungsmaterialien, Beschichtungsstoffe und weiteres mehr verbrauchen und sehr verschwenderisch mit den natürlichen Ressourcen und Grenzen des Planeten Erde umgehen.

Der Earth Overshoot Day markiert den Tag, an dem die Menschheit alle natürlichen Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht hat“ (WWF – https://www.wwf.de/earth-overshoot-day). Dieser Tag wandert seit Jahren im Kalender rückwärts, findet also zunehmend früher im Jahr statt. Da die Weltgemeinschaft neben anderen Konsumgewohnheiten vor allem täglich mehrmals isst, spielt die Ernährungsweise und die Erzeugung der Lebensmittel hier eine entscheidende Rolle. Eine Zukunftsfähige Ernährung würde nun an verschiedenen Stellen reduzieren und einen anderen Umgang mit den Ressourcen finden, die wir zur Verfügung haben.

Zunächst müssten alle Stellschrauben nachjustiert werden, die aktuell zu Lebensmittelverschwendung führen. Über 30 % der weltweit erzeugten Lebensmittel landen im Müll – würden wir die komplett vermeiden und entlang der gesamten Wertschöpfungskette nachjustieren, könnten hier bis zu 10% der vom Menschen gemachten CO2 Emissionen eingespart werden. Des Weiteren wäre es super wichtig die industrielle Verarbeitung von Rohstoffen zu hochverarbeiteten Lebensmitteln zu regulieren und zu hinterfragen, welche davon wirklich notwendig sind und in Anbetracht der sich verschlechternden gesundheitlichen Situation der Bewohner der westlichen Welt, ggf. vom Markt genommen werden sollten. Der Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln, Transfetten und exorbitante Mengen Zucker und Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Lebensmittelzusatzstoffe und dergleichen kosten allein den deutschen Staat jährlich 16,8 Milliarden Euro (https://www.nutrition-impacts.org/gesundheitskosten-ernaehrung/).

Zielführend als Orientierung kann hier das Rahmenwerk der planetary health diet zu Rate gezogen werden. Dies würde eine Ernährung bedeuten,

  • die darauf aufbaut, über 50% der täglichen Kalorien aus Gemüse, Salaten und Obst aufzunehmen.
  • die einen beachtlichen Anteil an Vollkorngetreide beinhaltet und die Proteinversorgung weitgehend durch pflanzliche Quellen wie Hülsenfrüchte, Nüsse und Saaten deckt.
  • wertvolle, naturbelassene Fette einschließt, auf kaltgepresste Öle mit zahlreichen essentiellen Fettsäuren setzt.
  • die den Anteil an zugesetztem, industriellem Zucker auf ein Minimum reduziert.
  • die aus den meisten Menschen Flexitarier machen würde – denn der Verzehr von tierischen Produkten ist nicht tabu.

Er kommt allerdings im Vergleich zu dem, was wir aktuell in der westlichen Welt praktizieren, auf wesentlich weniger Kilogramm Fleisch und Milchprodukte pro Kopf. Meine Top Hacks zum kochen im Sinne der planetary health diet würde ich für den Anfang wie folgt beschreiben:

1.) „Umami is key“: Marinieren, Einlegen, dann anbraten oder gut gewürzt im Ofen backen, Pilze, getrocknete Tomaten, Sojasauce und Misopaste zum Intensivieren des Geschmackes verwenden, führt dazu, dass Gemüse, Hülsenfrüchte und Getreide aromatisch und intensiv schmecken. Unser Geschmackssinn liebt „umami“ und mit ein bisschen Liebe behandelt, werden pflanzliche Zutaten zu wahren Helden auf dem Teller.

2.) „Digest your daily dose of beans“: Hülsenfrüchte sind wertvolle pflanzliche Proteinquellen und können ruhig 4–7-mal pro Woche auf dem Teller landen. Von Toppings und Dips, wie Hummes, Linsencreme und Weiße-Bohnen-Mousse, über aromatische Kichererbsencurrys, Linsendal und Belugalinsensalat, hin zu fortgeschrittenen Kreationen wie Bohnen-Nussbraten, Bohnen-Tofu-Bratlingen und Kichererbsenblondies oder Black Bean Brownies. Die Hülsenfrucht kennt keine Grenzen.

3.) „Think in a bowl“: Wenn Du Dir deine Mahlzeiten zusammenstellst, denke nach dem Bowlprinzip: Gemüse? Getreide? Hülsenfrüchte? Salat? Dip? Kerne? weitere Proteine wie Tofu oder Tempeh? Wer beim Kochen in diesen Kategorien denkt, kann unkompliziert vollwertige Mahlzeiten zusammenstellen. Selbst wenn nur das Gemüse angebraten wird, und der Salat angemacht, die Getreide- und Hülsenfrüchte-Komponente „nur“ gekocht und weitgehend ungewürzt verwendet, dafür aber mit einer aromatischen, intensiven Sauce oder Dip zusammen serviert wird, ergibt sich hier durch die verschiedenen Komponenten und die knusprigen Toppings am Ende ein buntes, aromatisches Zusammenspiel.

Kochen ist wie Sport – man muss trainieren, damit man besser wird… es ist keinem von uns einfach in die Wiege gelegt. So fängt man an – und dann wird es immer routinierter und einfacher und man beginnt zu experimentieren oder neue Rezepte zu integrieren und jede Komponente so nach und nach weiterzuentwickeln.“

Über Estella Schweizer

Estella Schweizer ist leidenschaftliche Aktivistin für klimafreundliche Küche, Expertin für pflanzliche Ernährung mit einer Zertifizierung zum „Plant-Based Chef“ und eine der renommiertesten veganen Köchinnen in Deutschland.

Sie hat bereits mehrere Kochbücher geschrieben und unterstützt Gastronomen, Hoteliers und Gemeinschaftsverpfleger mit ihren innovativen und umweltfreundlichen Rezepten, einen positiven Einfluss auf unseren Planeten zu nehmen. Ihr Kredo „Was wir essen verändert die Welt – und uns“ findet branchenübergreifend Gehör.

Vielen herzlichen Dank, liebe Estella, für deine wertvollen Impulse und praxisnahen Tipps. Deine Expertise zeigt, dass die Gastronomie eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung einer nachhaltigeren und ethischeren Zukunft spielt. Die Veränderungen mögen herausfordernd sein, aber sie bieten enorme Chancen für Gastronomen und Hoteliers, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und den Weg für eine bessere Ernährungskultur zu ebnen.

Herzlichst, Anja

Bilder Credits: Black Forest Collective / Lexware TYS